1. Wie schätzen Sie die momentane gesellschafts-politische Situation im Iran ein?
Man kann diese Einschätzung aus unterschiedlicher Perspektive beobachten. Uns geht es zunächst darum, dass die Menschen im Iran heute an einem Punkt gelangt sind, an dem sie ihre Stimme erheben können. Das war vor etwa 10 Jahren nicht so. Den ersten Schritt haben wir der Studenten-Bewegung zu verdanken. Sie war die erste, wenn nicht erfolgreiche, so doch ernsthafte Antiregime-Bewegung. Ernsthaft deshalb, weil wir dabei gesehen haben, dass den Menschen, hauptsächlich den Jugendlichen, die hier auf die Straße gehen, nicht um alte und verrostete Diskussionen ging (wie etwa um Monarchie, um Republik, Marxismus etc.), sondern um ihre demokratischen Rechte. Genau einen solchen Schritt habe wir in den Demonstrationen im letzten Sommer gesehen. Die Menschen wollten wissen, was geschah mit ihren Stimmen. Das ist doch ein demokratisches Recht. Darauf bestehen auch wir als eine politische Oppositionspartei. Uns geht es darum, dass Menschen zu ihren Rechten kommen. Das sagen wir nicht heute, sondern das habe wir gesagt, als wir die Partei gegründet haben. Wir sehen also die Menschen heute an diesem Punkt angekommen: Menschenrechte und Demokratie. Hier brauchen die Menschen Orientierungshilfe und Unterstützung.
2. Wer hat die wirkliche Macht im Land und woran machen Sie es fest, dass es tatsächlich so ist?
Die wirkliche Macht haben der Führer, die Pasdaran und die Wächterrat. Hier bildet sich ein Dreieck mit der Führer an der Spitze. Finanzielle und militärische Unterstützung erhält diese Autorität von den Pasdaran; politische und mehr oder weniger moralische Unterstützung bei der Bevölkerung durch den Wächterrat. All dies wird durch die Figur des Präsidenten repräsentiert. Festzumachen ist dies an den Geldern, über die die Pasdaran verfügen und in verschiedene Richtungen investiert haben oder noch investieren. Die Autoritätsfigur des Führers hat stets das letzte Wort. Die Machtkämpfe, die seit dem letzten Sommer sich innerhalb der Regierung gebildet haben, belegen, dass es den sogenannten Oppositionellen mit Rafsandjani, Khatami oder Musawi an der Spitze nicht um die Demokratie geht, sondern um tatsächlich um die politische Macht. Alle diese Figuren haben eine sehr schwarze Bilanz in ihrer politische Karriere. Keiner von denen hat seinerzeit für Demokratie, Wahlrecht und Menschenrechte plädiert. Heute ist die Situation anders. Hier wird Demokratie als Instrument ausgenutzt, um Menschen in die Irre zu führen. Das hat die Islamische Republik immer getan, wenn sie keinen Ausweg wusste, um Zeit zu gewinnen. Diese Zeit wird dann ausgenutzt, um zum Beispiel neue Gesetze zu entwerfen, die die Freiheit einschränken und gegen die Menschen gerichtet sind, wie etwa Gesetze gegen die Frauen, Gesetze für strengere Kontrolle der Universitäten. Für die Durchsetzung dieser Gesetze sind dann die Kräfte zuständig, die dem Führer nahstehen und seine politische Macht und Autorität unterstützen.
Falls in nächsten drei Jahren den Führer etwas zustößt, werden die Pasdaran die alleinige Herrschaft für sich beanspruchen.
3. Was brauchen die Menschen im Iran und wie können die Menschen im Iran es erreichen?
Die Menschen im Iran brauchen genau das, was alle Menschen brauchen: Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Sie sind auch dabei dies zu erreichen. Das Problem ist jedoch, dass sie bei der Unterstützung ihrer Ideale allein gelassen werden. Die Medien im Westen berichten stets von den Versuchen des Regimes, an die Atomwaffe kommen zu wollen. Wie viele Sender gibt es, die tatsächlich, die darüber berichten, was den Menschen im Iran tagtäglich widerfährt? Wie viele westlichen Regierungen gibt es, die das Mullah-Regime direkt oder indirekt unterstützen? Die Macht der Islamischen Republik wird nicht allein von innen gestärkt. Vielmehr wird diese Macht von außen her gestärkt, und zwar durch Finanzen, Investitionen und Geschäfte. In dem Moment, in dem Menschen auf die Straße gehen, ihr eigenes Leben und das ihrer Familie riskieren, gegen ihre Rechte verhaftet, gefoltert und getötet werden, machen Firmen wie Nokia und Siemens Geschäfte mit dem Iran und verkaufen der Islamischen Republik die modernsten Abhörgeräte, mit denen dann das Regime gegen die Menschen vorgeht. Insofern sollte man die Frage vielleicht so formulieren: Was brauchen die Menschen im Iran nicht? Was sie nicht brauchen, sind Aktionen des Westen, die gegen den Freiheitswillen von Menschen im Iran gerichtet sind. Was sie brauchen, ist eine klare Linie des Westen zur Unterstützung ihrer Rechte auf Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Wenn die Unterstützung gewährleistet ist, die Menschen werden den Rest selber erreichen.
http://www.mehriran.de/artikel-berichte/die-menschen-im-iran-brauchen-eine-klare-linie-des-westens/
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